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Dewey war ein bißchen
wehmütig, als er die Gangway hinabstieg. Dann,
als er den Boden dieser Stadt wieder unter den Füßen
hatte, war es ein Lachen und Wohlgefühl, das tief von
innen kam. Es war eine Rückkehr ohne Haß. Es war
Wiedersehensfreude, denn diese Stadt war wichtig für
sein Leben gewesen.
Manila hatte ihn sehr schnell
wieder gefangen genommen. Es war das Geräusch der Großstadt,
ein Gemenge von Autolärm und Stimmen, von Hupen und Musik.
Der Lärm hatte einen unterschwelligen Rhythmus; es war
ein Pulsieren, das sich auf Deweys Körper übertrug.
Dewey brauchte sich in der Ankunftshalle
nicht aufzuhalten, denn er hatte nur Handgepäck. Er ging
hinaus, und er war beschwingt, und da waren wieder Männer,
die einen Arm hoben und ihre Autoschlüssel schüttelten:
"Taxi, Sir?"
Die Taxifahrer hielten ihn für
einen ahnungslosen Touristen, doch Dewey kannte sich aus in
Manila. Es gab ihm ein Gefühl von Überlegenheit,
daß er besser Bescheid wußte, als die Taxifahrer
es ihm zutrauten. Er ging zur Straße vor, und er mußte
nur ein paar Minuten auf den richtigen Bus warten. Sie fuhren
also noch, diese klapprigen roten Gestelle ohne Fensterglas
- nach wie vor verkehrten sie zwischen dem Flughafen und Quiapo.
Der Bus fuhr die Airport Road
hinunter und bog auf den Roxas Boulevard, und dann ging es
sieben, acht Kilometer am Kai entlang, mit Vollgas, wie auf
einer Landstraße. Links lag die Manila Bay, in
der sich die tiefstehende Sonne spiegelte, und Kokospalmen
schmiegten sich an den Wind. Rechts waren die riesigen Nachtclubs
und die internationalen Hotels aufgereiht, und es gab die
Luxus-Restaurants, wo die Chefköche Europäer waren,
und wo französischer Wein und argentinische Steaks serviert
wurden.
Sie kamen zum Cultural Center,
diesem Betonklotz, in dem Ballett-Ensemble aus aller Welt
gastierten, und wo Symphonien von Beethoven und Tschaikowski
gespielt wurden. Das war der Altar, auf dem Sozialprogramme
der heiligen Repräsentation geopfert worden waren, zum
höheren Ruhm der First Lady, Imelda.
Etwas später fuhren sie
an der Botschaft der Vereinigten Staaten vorbei, die auf einem
Gelände von gut zehn Hektar Größe lag. Hier
wurden dezent Entscheidungen getroffen, die die philippinische
Regierung später als ihre eigenen auszugeben hatte. Die
Residenz des Botschafters war kaum weniger gesichert als der
Palast des Präsidenten. Es war eine Festung, mit einem
hohen schmiedeeisernen Zaun und einem freien Schußfeld
von etwa fünf Metern Breite und einem weiteren schmiedeeisernen
Zaun. Es war gute Handwerksarbeit, und es sollte wie Ziergeländer
wirken, aber über die Funktion brauchte man sich keine
Illusionen machen.
Der Bus fuhr noch eine kurze
Weile den Roxas Boulevard entlang, und dann bogen sie in die
Quirino Avenue ein, und kurz darauf kamen sie in die Harrison
Street. Dies war nicht mehr das Manila der Pracht-Boulevards.
Die Häuser waren niedrig und Jeepneys verstopften die
Straße.
Hier, in Malate, in einer Seitenstraße
der Bocobo Street, kannte Dewey eine kleine Pension, die er
vor einem halben Jahr entdeckt hatte. Sie hieß Surigao
Inn und hatte ihm einen ruhigen und sauberen Eindruck
gemacht. Es war ein dreistöckiges Gebäude im alten
Manila-Stil, aus Holz, und mit rotem Blech gedeckt. Man kam
hinein, und es gab eine kleine Rezeption, und daneben lag
der Speisesaal wo die Tischdecken weiß waren und Vorhänge
an den Fenstern hingen. Eine Frau, etwa fünfzig, saß
an der Rezeption, und sie rauchte eine Zigarette und fächerte
sich mit einer Zeitung frische Luft zu.
"Haben Sie ein Zimmer frei?"
fragte Dewey.
Die Frau nahm einen tiefen Zug
aus ihrer Zigarette und sagte: "Haben wir, mein Heer.
"Was kostet es denn?"
"Einzel 80 Peso, Doppel
120."
"Ohne Bad?"
"Mit Gemeinschaftstoilette
und Gemeinschaftsbad."
"Ohne Klimaanlage?"
"Mit Klimaanlage 30 Peso
mehr."
"Kann ich ein Zimmer sehen?"
"Sie können keine
Prostituierten aufs Zimmer mitnehmen," sagte die Frau.
Sie erwartete nach dieser Mitteilung nicht mehr, daß
sie an den Herrn vermieten könne.
"Ich habe nicht vor, Prostituierte
mitzunehmen."
"Sie wollen also die Zimmer
sehen?"
"Ja, bitte."
Die Frau rief: "Dong, Dodong."
Sie drückte ihre Zigarette aus. "Dodong."
Ein junger Mann kam die Treppe
herunter.
"Dong," sagte die
Frau, "zeige dem Herrn ein paar Zimmer." Sie gab
ihm drei Schlüssel mit, die an einem faustgroßen
geschnitzten Stück Holz hingen.
Dewey folgte dem jungen Mann
in den ersten Stock und dann in den zweiten, und er bekam
ansprechende Zimmer gezeigt. Er wählte eines mit Blick
auf die Straße. Es hatte eine getäfelte Decke,
und es stand ein Schreibtisch am Fenster, und das Bett war
mit einer schön gemusterten Decke bezogen, und das Leinenzeug
war ohne Flecken. Er schaute aus dem Fenster hinaus, und unten
spielten junge Burschen Basketball. Dann ging er in die Rezeption
hinunter und trug seine Personalien in ein großes Buch
ein: Oswald Kroll, Germany.
Am nächsten Morgen ging
Dewey mit Krolls Ticket im Haupbüro der Philippine
Airlines am Roxas Boulevard vorbei und buchte seinen Rückflug
nach Frankfurt für Donnerstag, den 1. Dezember 1983,
16:00 Uhr. Das Fräulein, das ihm das OK in den Flugschein
schrieb, machte Kroll alias Dewey darauf aufmerkaam, daß
er auf der Immigrationsbehörde noch seine Ausreisesteuer
zu bezahlen habe. Es war dies nichts Beunruhigendes, da aus
Krolls Reisepaß hevorging, daß das Touristenvisum
um ein viertel Jahr verlängert worden war.
Dewey entledigte sich dieser
Verpflichtung gleich am Nachmittag. Er fuhr zur Immigrationsbehörde
nach Intramuros, bezahlte die 250 Peso, die zu bezahlen waren,
und hatte seine Ausreiseunterlagen damit komplett.
Am zweiten Tag nach seiner Rückkehr
besichtigte er noch schnell ein paar der wichtigsten Sehenswürdigkeiten
Manilas. Während seines ersten, monatelangen Aufenthaltes
in der Stadt hatte er dafür keine Zeit gefunden.
Er besuchte das Fort Santiago,
eine wirklich gepflegte historische Anlage, die San-Augustin-Kirche,
die so italienisch wirkte, und die Kathedrale. Er schaute
sich auch den Schwarzen Nazarener in der Quiapo-Kirche
an, um den so viel religiöses Brimborium veranstaltet
wurde, und er ging zum Paco-Park, der wie eine Burg
von hohen Mauern umgeben war, deren Nischen früher als
Bestattungsplätze bevorzugt wurden.
Manchmal fühlte er sich
an den Tod des Oswald Kroll erinnert, der sein Leben hatte
lassen müssen, um Dewey eine neue Identität und
die ungehinderte Ausreise zu ermöglichen. Dewey hatte
kein schlechtes Gewissen, aber er hatte ein Bedürfnis
nach Ruhe, wie man es nach der Meisterung gefährlicher
Situationen ganz allgemein hat. Es war dies auch der Grund,
warum er zunächst keine Lust auf sexuelle Kontakte verspürte.
Die Rückkehr
Am Nachmittag flog Dewey nach
Manila zurück. Er reiste jetzt mit einem grünen
Paß, und gemäß seinen Dokumenten hieß
er Oswald Kroll und war sechs Zentimeter kleiner als in Wirklichkeit.
Er hatte einen ruhigen Flug, und der Pilot legte eine saubere
Landung hin.