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Dewey war innerlich beunruhigt.
Es ging schon am frühen Morgen los. Dewey war um sieben
aufgestanden, um halb acht saß er beim Frühstück.
Das Omelett und der Kaffee schmeckten ihm überhaupt nicht
mehr. Er hätte viel lieber in eine saftige Votze gebissen.
Die Geilheit war in der Tat
eine schlimme Geißel. Was würde nur in Europa aus
ihm werden, wo man nette Purzelbäume schlagen mußte,
oder einen charmanten Kopfstand vorführen, bevor ein
Weib die Beine breit machte. Was mußte das für
eine verkehrte Welt sein, wo man mit den Nutten nicht mal
eine viertel Stunde reden konnte, ohne daß einem vorgerechnet
wurde, wie man ihre Arbeitszeit verschwendete? Wo eine halbe
Stunde mit Pariser mehr kostete als hier eine Nacht mit Hymen.
Und das Wetter in Europa war um diese Jahreszeit ja auch alles
andere als erbaulich. Der alte Kontinent war ein trauriges
Schicksal, das ihn erwartete.
Dann wurde es Dewey mit einem
Schlag klar, daß er nur noch einen Tag Gelegenheit hatte,
auf Vorrat zu ficken. Das war eine verdammt kurze Zeit, und
Dewey geriet bei der Vorstellung, wie knapp das war, fast
in Panik. Es war keine Zeit zu verlieren. Was tun also?
Es gab die Möglichkeit,
vor den Hotels die Nutten abzufangen, die die Nacht bei einem
Kunden zugebracht hatten. Aber die hatten die Taschen voll
Geld, und wenn sie die Taschen voll Geld hatten, waren sie
faul. Und hatten die am Morgen überhaupt richtig geduscht,
nachdem sie die ganze Nacht vollgepumpt worden waren?
Er konnte auch ein Bordell in
der Chinatown aufsuchen. Da gab es einige, die waren durchgehend
dienstbereit. Daß er sich einen Tripper einfangen könnte,
bereitete ihm weniger Sorgen. An dem konnten ja die Ärzte
in Europa ihre Kunst austoben. Was für Dewey jetzt wichtig
war, das war, Kreuzteufel, ein Loch.
Dewey nahm also ein Jeepney
in Richtung Divisoria-Markt.
In Binondo waren alle größeren
Straßen völlig verstopft. Dies war nichts Außergewöhnliches,
und so hatte jeder Jeepney-Fahrer seine eigene ausgeklüngelte
Strecke, auf der er trotzdem ans Ziel kam. Es ging in holprige
Seitenstraßen hinein, durch Gassen, in denen die elektrischen
Leitungen gefährlich tief hingen, und sogar durch Hinterhöfe
führte ihr Weg.
Die Bausubstanz wurde immer
schlechter, und schließlich war es Sightseeing durch
ein Elendsviertel. Die Wände der halbverfallenen Holzhäuser
waren mit politischen Parolen beschmiert. Die Straßen
waren jetzt tatsächlich nur noch mit geländegängigen
Fahrzeugen zu passieren, so tief waren die Schlaglöcher.
Der Müll lag auf großen Haufen, und hin und wieder
stieg ihm der Geruch einer verwesenden Ratte oder Katze in
die Nase. Es herrschte ein böses Gedränge in manchen
der Gassen, und es war erschreckend, wie viele Kinder es gab.
Sie plantschten in Pfützen und stocherten im Müll
herum, und sie verrichteten mitten unter anderen Kindern ihre
Notdurft.
An einem Hydranten standen hunderte
Leute mit schwarzen Kanistern Schlange. Es gab ein paar kleine,
improvisierte Werkstätten am Straßenrand, aber
die meisten Leute saßen nur herum. Hin und wieder wurde
auf kleinen freien Plätzen Basketball gespielt. Das war
diesen Menschen Lebensfreude, dafür brachten sie Begeisterung
auf.
Dewey fühlte sich überraschend
schnell vertraut mit dieser Umgebung. Sie wirkte trotz der
vielen Menschen noch menschlich. Es war die Stadt, nachdem
sie ins Elend abgerutscht war, aber wahrscheinlich waren die
Leute nett und wollten, wie Dewey, nur in Ruhe gelassen werden.
Als sie wieder auf eine normale
Straße kamen, wurde der Jeepney von einer jungen Frau
und einem jungen Mann gestoppt, die zusteigen wollten. Die
junge Frau war sehr groß, und der junge Mann hatte dünnes,
dunkelblondes Haar. Beides war selten auf den Philippinen,
und möglicherweise waren beide nicht reine Filipinos.
Wenn sie aus besseren Familien stammten, dann hatten sie wahrscheinlich
einen oder zwei Spanier in der Ahnenreihe.
Es war auffallend, daß
der junge Mann sich auf die vordere Sitzbank setzte, während
die junge Frau nach hinten kam und neben Dewey Platz nahm.
Hinten saßen außer Dewey und der jungen Frau nur
fünf Passagiere, und der junge Mann hätte durchaus
noch hineingepaßt.
Ihr Jeepney blieb nur für
eine kurze Weile im allgemeinen Fahrzeugstrom und bog dann
nach rechts in eine enge Seitenstraße ein. Dewey nahm
zunächst an, der Fahrer begebe sich wieder auf einen
zeitsparenden Umweg, doch dann sah er, daß ihr Chauffeur
offenbar Anweisungen des blonden jungen Mannes befolgte.
Die junge Frau saß mit
adrett angewinkelten Beinen neben Dewey. Sie trug ein hellbraun/dunkelbraun
gestreiftes Kleid, und ihr schmales Armgelenk schmückte
ein goldenes Kettchen. Sie hatte ihre Handtsache auf dem Schoß
liegen, und aus dieser zog sie plötzlich (Dewey war völlig
überrascht) eine Pistole hervor. Der Lauf war auf Dewey
gerichtet.
Das durfte doch nicht wahr sein,
ging es Dewey durch den Kopf. Ein Überfall, am hellichten
Tag. Und ausgerechnet ihm mußte das passieren. Wo er
doch sowieso nur noch wenig Zeit hatte.
"Wenn Ihnen Ihr Leben lieb
ist, verhalten Sie sich ruhig," sagte die junge Frau.
Die Beine waren immer noch adrett angewinkelt. Ihr Gesicht
war schmal, und sie hatte hohe Backenknochen.
"Wenn Sie mein Geld wollen,
es ist in der Brusttasche," sagte Dewey.
"Halten Sie den Mund,"
sagte die junge Frau barsch.
"Irgendetwas stimmt hier
nicht," dachte Dewey. "Warum sammelt die nicht das
Geld ein?"
Auf Anweisung des blonden jungen
Mannes bog der Fahrer mit dem Jeepney|durch eine enge Einfahrt
in einen Hof. Rechts und links standen Häuser. Sie hatten
keine Fenster zum Hof. Zur Straße und an der gegenüberliegenden
Seite sorgten hohe Mauern dafür, da es keinen Einblick
gab. Sofort, als der Jeepney hielt, sprang der blonde junge
Mann vom Beifahresitz hinaus, und er stand nun, mit ein paar
Metern Abstand zum Fahrzeug, beitbeinig da und hatte eine
Pistole gezückt.
Die junge Frau, die jetzt sichtbar
nervös war, sagte zu Dewey: "Kommen Sie, kommen
Sie, steigen Sie aus." Sie machte eine eindeutige Bewegung
mit ihrer Waffe.
"Was soll denn das? Ich
hab Ihnen doch gar nichts getan. Ich bin nur ein harmloser
Tourist," sagte Dewey.
"Tun Sie besser, was sie
sagt," meinte väterlich ein älterer Herr, der
Dewey gegenüber saß. "Sonst bringen Sie uns
noch alle in Gefahr."
"Los, los!" sagte
die junge Frau, "steigen Sie aus."
Dewey zwängte sich an den
Passagieren vorbei und stieg in geduckter Haltung aus. Er
sagte: "Warum nehmen Sie nicht einen ihrer eigenen Leute
mit? Warum denn nicht diesen älteren Herren, der soviel
Verständnis für Sie hat?"
"Halten Sie den Mund,"
sagte die junge Frau. Sie zwängte sich nach Dewey aus
dem Fahrzeug.
Dewey wurde von der jungen Frau
über den Hof geführt, und sie mußten über
allerhand Eisenschrott steigen. Sie gingen auf der gegenüberliegenden
Seite durch eine kleine Stahltür hinaus, und Dewey wurde
befohlen, in ein wartendes Tani zu steigen. Es war einer dieser
gelben japanischen Kleinwagen, und die Tür war mit dem
Schriftzug Amigo und einer Telefonnummer bemalt. Der
Fahrer trug eine dunkle Sonnenbrille.
Dewey mußte auf der Rückbank
Platz nehmen, und seine adrette Entführerin setzte sich
neben ihn. Sie hatte die Pistole im Schoß und sicherlich
den Finger am Abzug, aber sie hatte die Angelegenheit dezent
mit einem Handtuch abgedeckt.
Nun ging es zügig vorwärts.
Sie fuhren durch ein paar Seitenstraßen, und dann waren
sie auf dem Divisoria-Markt. Die Claro M. Recto Avenue
war hier eigentlich sechspurig. Auf dem Asphalt hatten aber
die Händler ihre Waren ausgebreitet, und es blieb auf
jeder Seite gerade eine Fahrbahn frei, die jeweils auch noch
von be- und entladenden Jeepneys verstopft wurde.
Ihr Fahrer mit der Sonnenbrille
hupte beständig. Es fiel nicht auf. Für einen Taxifahrer
war es ein durchaus normales Verhalten.
"Darf ich fragen, wohin
Sie mich bringen?" fragte Dewey.
"Sie werden es früh
genug erfahren," sagte seine Entführerin.
Sie kamen auf den Bonifacio
Drive und fuhren an den Piers des Nordhafens vorbei, und dann
stieg ihnen auch schon der Gestank der brennenden Müllhalden
Manilas, der Smokey Mountains, in die Nase.
Sie fuhren einen guten Kilometer
in die Abfallhalden hinein, und es ging einen Hügel hinauf,
und als sie auf dem Paß anlangten, war es eine richtige
Feldherren-Aussicht. Wie die Brandherde eines Schlachtfeldes
qualmten verstreut die Müllhaufen, und Männer und
Frauen und Kinder wühlten in den Abfällen nach Dingen,
die noch brauchbar erschienen. Sie fuhren die Anhöhe
hinunter, und dann bog der Taxifahrer mit der Sonnenbrille
in einen kleinen Krater.
Dewey sagte: "Für
wen halten Sie mich eigentlich? Sie verwechseln mich. Ganz
sicher verwechseln Sie mich." Er war überzeugt,
das Opfer einer Verwechslung zu sein.
"Halten Sie den Mund,"
sagte das schlanke Fräulein, und sie bedrohte ihn offen
mit der Pistole. Sie war jetzt gar nicht mehr nervös,
sondern die Ruhe selbst.
In dem Krater wartete ein Lieferwagen
auf sie. Dewey wurde in eine Kiste umgeladen, und dann folgte
eine gute halbe Stunde Fahrt, von der Dewey nichts mitbekam,
und dann wurde die Kiste getragen. Als sie geöffnet wurde,
befanden sie sich in einem kleinen, fensterlosen Raum. Eine
gelbe Glühbirne funzelte von der Decke. Es gab einen
alten Schreibtisch und zwei zerschlissene Polsterstühle
und ein altes Bettgestell mit einer verdreckten Matratze.
"Können Sie mich jetzt
vielleicht darüber aufklären, was hier vor sich
geht? Wo befinde ich mich überhaupt?" fragte Dewey.
"In einem Volksgefängnis,"
sagte das große Fräulein in aller Seelenruhe.
Dann wurde Dewey mit Handschellen
an einen dieser Polsterstühle gekettet.
Die Entführung
Es war am Tag vor der Abreise,
als seine Stimmung plötzlich umschlug. Es war die Aussicht,
daß in Europa alles ganz anders sein würde: daß
Geschlechtsverkehr, guter Geschlechtsverkehr, nicht käuflich
sein würde; daß, wenn Lust ihn überkam, diese
nicht so einfach zu befriedigen sein würde. Daß
er in Europa wieder nur ein Durchschnittsmann sein würde,
während er auf den Philippinen, trotz seiner begrenzten
finanziellen Mittel, ein reicher Mann war. Europäische
Prostituierte, mit ihrer rohen Mentalität und einem Dutzend
Kunden pro Tag, sagten ihm nicht zu. Und überhaupt waren
Dewey, dem Geizhals, die Tarife europäischer Prostituierter
viel zu teuer.