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Im Hahnenkampf ging es auf Leben
und Tod - das machte ihn so schön. Die Hähne gingen
ohne Zögern aufeinander los. Es war ein herrlicher Sport.
Der Kampf spielte sich zunächst in der Luft ab. Die Tiere
sprangen sich gegenseitig an, und jedes versuchte, höher
zu springen als das andere. Die Hähne folgten nur ihrem
Instinkt - aber hoch zu springen, war entscheidend. Nur der
Hahn, der hoch sprang, konnte dem anderen die Sporen geben.
Es war der entscheidende Vorteil, denn an den Sporen waren
die Rasiermesser festgebunden.
Die Hähne waren Helden,
aber sie waren dumm. Sie folgten nur ihrem Instinkt, und sie
waren sich der Rasiermesser nicht bewußt. Woher kamen
die Schnitte in ihrem Körper? Die Hähne wußten
nicht, daß man die Rasiermesser meiden mußte.
Darum war der Ausgang eines Kampfes immer auch Zufall.
Es flogen die Federn und es
floß Blut in der Arena. Der Kampf begann so schnell,
daß man ihn fast nicht verfolgen konnte. Welcher Hahn
gab dem anderen die Sporen?
Aber der Kampf war nur die ersten
zehn oder zwanzig oder dreißig Sekunden schnell. Dann
kam es darauf an, welcher der beiden Hähne weniger Schnitte
abbekommen hatte. Meistens tropfte aus beiden das Blut. Aber
ein guter Kampfhahn durfte nicht aufgeben. Er durfte sterben,
aber aufgeben durfte er nicht.
Und wenn beide zu schwach waren,
noch einmal einen Angriff zu unternehmen, packte der Ringrichter
sie bei den Federn, und jeder der beiden Hähne hatte
abwechselnd die Chance, den anderen mit müdem Kopf, von
oben herab noch einmal zu picken. Geschah dies, mit letzter
Energie, dann ging jedesmal ein Freudenschrei durch die Arena,
denn an diesem letzten Picken hingen viele Tausende von Peso
Wettgeld.
Ein guter Kampfhahn gab nie
auf, der pickte seinen Gegner noch ein letztes Mal, bevor
er selbst den Kopf hängen ließ. Es gab meistens
einen Sieger, auch wenn es keinen Überlebenden gab. Gut,
wenn der Sieger am Leben blieb. Daß er aber unverletzt
aus dem Kampf hervorgehen würde, war nicht zu erwarten.
Doch es saßen vor der
Arena ja die Medizinstudenten, und die verstanden sich darauf,
die Verletzungen zu nähen. Die nahmen die Helden zwischen
die Knie und suchten zwischen den Federn die Wunden. Es waren
lange Schnitte, und die Hähne hatten nicht viel Fleisch
unter der Haut. Es war schön für anatomische Studien,
denn manchmal kamen in den Wunden die Eingeweide zum Vorschein:
Leber oder Magen oder Herz.
Ein siegreicher Hahn konnte
der Pflege seines Herren gewiß sein. In den Ruhestand
wurde er allerdings nicht geschickt. Nach ein/zwei Monaten
hatte er seinen nächsten Kampf zu bestehen, und wenn
er den auch überlebte, nach weiteren ein/zwei Monaten
wieder den nächsten. Sehr selten überstand ein Hahn
mehr als drei Kämpfe, das war von der Natur gut eingerichtet.
Denn seinen ersten Kampf hat
ein Hahn im Alter von etwa eineinhalb Jahren; ein halbes Jahr
lang ist er in Form.
Im Alter von zwei Jahren kommt
er in eine Mauser. In dieser Zeit kann er nicht kämpfen,
weil er sich schlecht fühlt. Und nach der ersten Mauser
gehört er zu den Senioren. Mag sein, daß er dann
noch stark ist, aber schnell ist er nicht mehr.
Beim Hahnenkampf wurde stets
gewettet. Tatsächlich gab es ohne Wetten keinen Kampf.
Wer seinen Hahn in den Ring schicken wollte, mußte selbst
ein paar hundert Peso auf seinen Gladiator setzen. Es bestand
dabei meist ein Mißverhältnis zwischen dem Wetteinsatz
eines Hahnenbesitzers und dem Wert des Hahns. Ein guter Kampfhahn
kostete leicht 2000 Peso. Bei einem Wetteinsatz von 500 Peso
bestanden also eine Gewinnaussicht von 500 Peso und ein Verlustrisiko
von 2500 Peso (Wettgeld plus Hahn).
Es gehörte schon echter
Sportsgeist dazu, trotzdem mit einem eigenen Tier in die Arena
zu gehen. Wetten konnte man ja auch auf Hähne, die einem
nicht selbst gehörten, und dann standen Gewinnaussicht
und Verlustrisiko 1 zu 1.
In der Tat ging ein Filipino,
auch wenn er wenig Geld hatte, kaum je in eine Hahnenkampfarena,
ohne in dem einen oder anderen Kampf wenistens einen kleinen
Betrag zu riskieren. Gewettet wurde durch Zuruf und in einer
allgemein verbindlichen Zeichensprache. Es betrieben Buchmacher
ihr Geschäft, und es wettete das Publikum unter sich.
Regelmäßig gab es Ärger, wenn einer der Besucher
nach einer verlorenen Wette nicht bezahlen konnte oder wollte.
Es waren deshalb immer viele Polizisten in Zivil anwesend,
die ihre Pistolen im Hosenbund trugen. Schießereien
in einer Arena waren allerdings selten.
Es war Toni Gräfs Vergnügen,
am Sonntagnachmittag zum Hahnenkampf zu gehen. Die Arena,
die er häufiger besuchte, lag im Süden Manilas,
in Parañaque, zwischen sonntäglich gähnenden
Fabriken. Es war ein kühler, runder Zementturm, und er
lag auf einem Grundstück, das von einer hohen Mauer umgeben
war.
Nur selten traf er in diesem
Schlachthof des Sports einen Ausländer. Aber einen komischen
jungen Deutschen lernte er hier kennen. Er war Anfang Zwanzig
und hatte ein pickelvernarbtes Gesicht.
"Es gibt wenig Europäer,
die am Hahnenkampf Vergnügen haben," sagte Gräf.
"Ich bin nicht zum Vergnügen
da," sagte der junge Mann.
"Sondern?" fragte
Gräf.
"Beruflich."
"Sind Sie Händler?"
fragte Gräf.
"Nein. Schriftsteller."
Dabei schaute der junge Mann Gräf feindlich an - so als
habe Gräf seine abfällige Äußerung dazu
schon getan.
Gräf sagte nur: "Ach
ja!"
"Ich lehne den Hahnenkampf
ab," sagte der junge Dichter.
"Warum? Den Hähnen
geht es doch gut. Die leiden nicht."
"Darum geht es nicht. Ich
lehne den Hahnenkampf ab, weil ich das Töten von Tieren
zur Belustigung ablehne."
"Wer Metzger wird, hat
auch Spaß am Töten."
"Aber er tötet nicht
des Spaßes wegen."
Der junge Dichter machte sich
Notizen. Auf die oberste Tribünenbrüstung gelehnt,
schrieb er etwas in einen Block, und er achtete darauf, daß
Gräf ihm nicht über die Schulter schaute.
"Was für Bücher
gibt es denn von Ihnen?" fragte Gräf.
"Ich habe bisher nur in
Zeitschriften veröffentlicht," sagte der junge Dichter.
"Ich dachte, Schriftsteller
sind Bücherschreiber," sagte Gräf mit leichtem
Hohn.
Der Hohn prallte gänzlich
an dem jungen Dichter ab. Er sagte: "Ich schreibe an
einem Roman."
"Und der handelt vom Hahnenkampf?"
fragte Gräf.
"Unter anderem."
Unten im Ring gingen zwei Hähne
aufeinander los, und es flogen die Federn.
"Und als Schriftsteller
verdient man gut?" fragte Gräf.
"Mein Stundenlohn ist geringer
als der eines Straßenfegers."
"Warum sind Sie dann Schriftsteller?"
fragte Gräf.
"Ich schreibe nicht für
Geld," sagte der junge Dichter.
"Weshalb denn sonst?"
"Aus innerer Notwendigkeit."
"Ach so," sagte Gräf.
Unten im Ring waren sie schon
fertig. Der Besiegte hatte eine große Wunde am Hals,
und er lag im Sand des Ringes, und das Blut quoll im Rhythmus
des Herzschlages aus der Wunde. Dann kam der Ringrichter,
und er packte den Körper des Verlierers an einem Flügel
und warf ihn in die Ecke des Ringes, wo der Besitzer des Tieres
stand.
Der Besitzer ließ die Leiche
liegen und verließ mit schnellen Schritten die Arena. Der
Eigentümer des Siegers aber machte eine Runde durch den Ring,
und sein Gesicht strahlte vor Genugtuung. "Und was ist das
für eine innere Notwendigkeit?" fragte Gräf. "Die künstlerische
Bewältigung der Welt," sagte der junge Dichter. "Muß die Welt
denn künstlerisch bewältigt werden?" "Das ist die letzte Höhe
menschlichen Seins." "Und die wollen Sie erstürmen?" "Das
ist nicht richtig ausgedrückt." "Warum nicht?" fragte Gräf.
"So ist das zu grob ausgedrückt. Die Kunst braucht die Feinfühligkeit."
"Ach so," sagte Gräf. Man konnte sich jetzt für ein oder zwei
Minuten fast nicht unterhalten. Zwei neue Hähne waren in den
Ring gebracht worden, und das Publikum schrie Wettangebote
durch die Luft. Der junge Dichter machte sich wieder geheime
Notizen. Für Gräf war es sonnenklar. Dieser junge Dichter
brauchte die Kunst und sein "höheres Menschentum" zur Selbstbeweihräucherung.
Und der war von seinen Illusionen so überzeugt, daß er von
dem Sockel, auf dem er stand, nicht so leicht hinuntergestoßen
werden konnte. Aber eines Tages würde der Sockel schon brüchig
werden, und dann würde dieser junge Dichter sich ärgern über
die viele Zeit, die er an seine albernen Romane verschwendet
hatte. Gräf war sich sicher, daß dieser Moment kommen würde
- das war eine äußere Notwendigkeit.
Die Arena
Es floß Blut, und es war
lustig, weil es ein Spiel war. Für die Kampfhähne
natürlich war es tödlicher Ernst. Eigenartig, daß
der Tod das Leben so interessant machte. Es konnte ein langweiliger
Sonntagnachmittag sein. Wenn aber Blut floß, war die
Langeweile behoben. Nur gut, wenn es nicht das eigene war.